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18.11.2017 Kategorie: alle Regionen, Bad Harzburg, Blankenburg, Georgenhof, Südharz, Vienenburg

Wie im Märchen

Andacht in der Goslarschen Zeitung am Samstag, 18. November 2017

Als Kind besaß ich eine kleine Sammlung Märchenkassetten. Grimm, Andersen und Co. wurden oft abgespielt, um in Welten abzutauchen, in denen das Wünschen noch geholfen hat. Prüfungen mussten bestanden, böse Gegenspieler besiegt und eigene Ängste überwunden werden. Jedes Mal fieberte ich mit den Helden mit, obwohl ich ja wusste, dass es gut ausgehen wird. Irgendwann waren die Märchenkassetten ausgeleiert und kein Klebefilm konnte sie mehr retten, ihre Zeit war vorbei, das echte Leben musste gemeistert werden.

Doch das, was Märchen so prägend für die Entwicklung eines Menschen machen, ist das Gleiche, was uns auch aufhorchen lässt, wenn wir biblischen Texten begegnen: es sind Geschichten, die vom Leben erzählen! Das Wissen der Menschheit offenbart sich auf nachvollziehbare Weise, mahnt mit Spannung nicht in die gleichen Fettnäpfe zu treten und gibt Lösungsmöglichkeiten für verzwickte Situationen.

Somit ist die Märchenzeit nie vorbei, denn in der wundervollen Formulierung ‚Es wa(h)r einmal …‘ schwingt eben diese menschliche Erfahrungen mit, wie man das Leben meistern kann und welche Herausforderungen es parat hält. Ob es in meinem Leben ähnlich gut ausgeht, obliegt der persönlichen Wahrnehmung und der Deutung des eigenen Lebens. Die Jahreslosung 2017 ist in den vergangenen Monaten zu einem steten Wegbegleiter geworden: „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ (Hesekiel 36,26)

Im Zusammenspiel mit dem Märchen ‚Das kalte Herz‘ von Wilhelm Hauff, der heute vor 190 Jahren kurz vor seinem 25. Geburtstag verstarb, zeigt sich für mich die Wirksamkeit beider Texte für ein gelingendes Leben: Mit einem kalten, steinernen Herzen kann man nicht leben. Denn zum Leben gehört das Fühlen dazu - und zwar in der ganzen Bandbreite von Schmerz und Leid bis hin zur unbändigen Freude. Unerbittlich muss man gegen die Anfechtungen des Lebens kämpfen, sich dieses lebendige Herz nicht nehmen zu lassen, denn es zeugt mit jedem Schlag von Neuaufbruch und Lebendigkeit - wie im Märchen.

Ein lebendiges Herz.